Das Personenmodell (S. 136-137)
- Eine bloße Kopplung von Reiz-Reaktions-Assoziationen ist als Erklärungsansatz nicht ausreichend.
Im Vordergrund stand für Lewin die Frage nach der Energetisierung : welche der in einer Situation möglichen Handlungstendenzen setzt sich durch und bestimmt das Verhalten. Es handelt sich somit um ein Volitionsproblem.
Wie die folgende Abbildung zeigt, wird die Person durch ein Gebilde repräsentiert, in dem sich viele voneinander getrennte Bereiche befinden. Jeder Bereich steht für ein bestimmtes Handlungsziel. Der Grad der Ähnlichkeit dieser Handlungsziele wird durch die Nachbarschaft von Bereichen bestimmt. Zentrale Bereiche grenzen an mehr benachbarte Bereiche als periphere Bereiche. Damit soll Ich-Nähe, persönliche Bedeutsamkeit von Handlungszielen und Aktivitäten angedeutet werden, sowie deren Einfluß auf benachbarte Bereiche.
Die Grenzzone enthält die Wahrnehmungs- und Exekutivfunktion, die zwischen Person und Umwelt vermitteln.
Gespannte Systeme im Personenmodell
Das Personenmodell ist ein reines Strukturmodell mit Bereichen, Nachbarschaften und Vermittlungsfunktion. Die Grenzen haben nach Lewin eine bestimmte Wandfestigkeit.
Für die dynamische Komponente führte Lewin den Begriff der Spannung ein. Weist ein Bereich eine erhöhte Spannung auf, spricht Lewin von einem gespannten System. Gespannte Systeme streben nach Spannungsausgleich in Relation zu den benachbarten Bereichen. Das kann auf zweierlei Weise geschehen.
Das gespannte System das eine vorweggenommene Handlung repräsentiert, entspannt sich, wenn es Zugang zur Grenzzone der sensumotorischen Exekutive findet, d.h. wenn es das Verhalten bestimmt bis das Handlungsziel erreicht ist.
Bezeichnend ist hierfür der Zeigarnik-Effekt : Unterbrochene Aufgaben werden besser erinnert als erledigte. Das System ist für die unterbrochene Aufgabe noch nicht entspannt.
Findet der angespannte Bereich jedoch keinen direkten Zugang zur Handlung, so wirken die Kräfte auf die Grenzen zu den benachbarten Bereichen. Innerhalb einer bestimmten Zeitdauer kommt es dann durch Diffusion zum Spannungsausgleich.
Mit dieser Art des Spannungsausgleichs durch Diffusion in benachbarte Bereiche, lassen sich Phänomene wie Bedürfnisbefriedigung durch Ersatztätigkeiten erklären.
Die Struktur des innerpersonalen Gesamtbereichs ist nicht ein für alle mal fixiert. Mit individueller Enwicklung und Erfahrung differenzieren sie sich, sie kann sich umstrukturieren und jedes momentane Handlungsziel bildet sich als eigener Bereich heraus.
Handlungsziele bezeichnet Lewin als Quasibedürfnisse, im Sinne von Bedürfnissen abgeleitet. Quasibedürfnisse sind vorübergehender Natur und entstehen häugi durch Vorname eines bestimmten Ziels. Sie verschwinden erst mit Erreichen dieses Ziels. Entscheidend für die Stärke dieser Quasibedürfnisse ist nicht die Intensität des Vornahmeaktes, sondern inwieweit das Quasibedürfnis mit echten Bedürfnissen zusammenhängt, und von ihnen "gespeist" wird.
Ein gespanntes System, sei es durch ein Bedürfnis oder Quasibedürfnis, mit spezifischen Veränderungen in der Umwelt einher. Objekte die der Entspannung oder Bedürfnisbefriedigung dienen können, gewinnen einen Aufforderungscharakter, eine Valenz, die sie aus ihrer Umgebung heraushebt.
Die Stärke der Valenz ist abhängig von der Stärke des gespannten Systems.
Die Anwendungsflexibilität beruht im wesentlichen auf seiner strukturellen Komponente. Es arbeitet mit:
- Variationen der Lagebeziehunginnerpersonaler Bereiche
- Variationen der Wandfestigkeit von Grenzen
- Variationen von übergreifenden Grenverläufen mit erhöhter Wandfestigkeit.
Die folgenende Abbildung vermittelt einen Eindruck von Lewins Überlegungen. Sie zeigt eine Person in verschiedenen Zuständen.
- I Die Person befindet sich in einer ungezwungenen Situation
Die peripheren Bereiche P des innerpersonalen Bereichs sind für die Umwelt leicht zugänglich.wie die Grenze Gp andeutet. Der innerpersonale Berich wirkt über seine peripheren Bereiche relativ ungezwungen auf die sensumotorische Grenzzone M ein. Weniger zugänglich sind die zentralen Bereiche wie es die höhere Wandfestigkeit der Grenze zwischen zentralen und peripheren Bereich Gz andeutet.
- II Die Person befindet sich unter Druck in einem Zustand der Selbstbeherrschung
Die peripheren Bereiche P des innerpersonalen Bereichs sind für die Umwelt weniger leicht zugänglich wie die stärkere Grenze Gp andeutet. Der periphere und zentrale Bereich hängen enger zusammen. Die Kummunikation zwischen innerpersonale Bereich und der sensumotorische Grenzzone M ist weniger ungezwungen.
- III Die Person steht unter sehr starker Anspannung
Es kommt zu einer Vereinheitlichung (Regression oder Primitivierung) des innerpersonalen Bereichs. Dieser Zustand könnte z.B. zu einem undifferentierten Affektdurchbruch führen.
Zum anderen hat Lewin (1935) versucht, Unterschiede zwischen verschiedenen Entwicklungsstufen, sowie Unterschiede zwischen normalen und schwachsinnigen Personen mit Hilfe der Besonderheiten der Materialbeschaffenheit im Modell nachzubilden und zu erklären.
Spezifisch für Lewins Modelle ist die Ausrichtung auf das Erreichen bestimmter Zielzustände.
Wie dies jedoch im Einzelnen zuwege gebracht wird, darüber macht das Personen-modell keine Aussagen.
Überhaupt bleibt unklar, wie im einzelnen gespannte Systeme Zugang zur sensumotorischen Zone finden und wie in dieser bestimmte Exekutivvorgänge Zustande kommen und ablaufen.
Das Personenmodell
Lewin hat häufig das Verhalten von Kindern in freien Situationen gefilmt, und nachträglich die Lokomotion auf die in ihr zum Ausdruck kommenden Strukturen der Umgebung als eines psychologischen Handlungsraumes analysiert.
Um den beobachtenden Phänomenen gerecht zu werden, muß das Umweltmodell Richtungen der möglichen oder ablaufenden Zielhandlungen darstellen können, und zwar in einem psychologischen (nicht geografischen) Raum.Der psychologische Raum, das psychologische Feld, besteht aus verschiedenen Bereichen. Die Bereiche repräsentieren psychologische Möglichkeiten von Handlungen und Ereignissen. Einzelne Bereiche stehen für mögliche positive oder negative Ereignisse. Lewin bezeichnet Zielregionen als positive Valenzen bzw. abschreckende Bereiche als negative Valenzen.
Alle anderen Bereiche repräsentieren instrumentelle Handlungsmöglichkeiten, die an eine Zielregion heranführen oder von einer Abschreckungsregion wegführen.
Um eine Zielregion mit positiver Valenz zu erreichen müssen die zwischenliegenden Bereiche nacheinander durchlaufen werden, d. h. handlungsmäßig realisiert werden.
Das Umweltmodell ist weniger ein Erklärungs- denn ein Darstellungsversuch über kognitive Repräsentationen von Mittel-Zweck-Bezügen. Mit anderen Worten, es handelt sich um die motivierenden Erwartungen der betrachteten Person.
Die dynamische Komponente kommt in einem Kräftefeld zum Ausdruck. Kräfte von gegebener Stärke greifen an der Person an und geben als resultierende Vektorsumme der psychologischen Lokomotion der Person Richtung und Stärke. Greifen entgegengesetzte Kräfte an kommt es zum Konflikt (s. oben)
Das Umweltmodell, ist also im wesentlichen zur Klärung von Motivationsproblemen konstruiert worden, nämlich was wie anzustreben oder zu meiden ist.
Umweltproblem: postdiktiv, nicht prädiktiv
Das Umweltmodell kann Verhalten nicht eigentlich erklären, sondern nur nachkonstruierend darstellen. Es ist postdiktiv, nicht prädiktiv. Denn es stetzt die wesentlichen verhaltensmotivierenden Bedingungen bereits als gegeben und bekannt voraus.
Die heuristische Fruchtbarkeit des Umweltmodells liegt, in der Bedingungsanalyse von Verahlten in relativ freien Situationen.
Beispiele dafür sind die Analyse der Situation von Lohn und Strafe (1931a) und die Typologie des Konflikts (1938;vgl. Kap4) sowie eine einfache Taxonomie der Gerichtetheit des Verhaltens.
- Taxonomie der Verhaltengerichtethei Richtung des Verhaltens
- Lokalisation der Person Aufsuchen Meiden
- Valenzbereich (A) A,A Konsummatorisches Verhalten A,-AFluchtverhalten
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außerhalb des Valenzbereiches (B) B,A Instrumentelles Verhalten B,-AMeidungsverhalten
Beziehungen zwischen beiden Modellen
Unabhängig von unserem Erleben gibt es eine reale Welt (* das ist wohl eher eine philosphische Frage*), das heist eine nicht-psychologische, eine physikalische Welt. Diese Welt unterliegt physikalischen nicht-psychologischen Gesetzen. Wir können mit unserem Handeln Einfluß auf diese Welt nehmen, und diese wirkt ständig auf unsere psychologische Welt des phänomenal Gegebenen ein.
Wo die Übergänge zwischen diesen beiden Welten liegen und wie sie vonstatten gehen, das wirft die schwierigen Fragen des psychophysischen Problems auf.
Auch Lewin steht vor diesem Problem. (Personenmodell-Umweltproblem) Er ließ die nicht-psychologische Welt einfach an den Randpunkten des Lebensraums beginnen und bezeichnete sie als "fremde Hülle" (foreign hull)
Lewin läßt generell viele Fragen offen. So stehen sich seine beiden Modelle, abgesehen vom oben angerissenen Problem, schon deshalb als unvereinbar gegenüber, weil sich ihre dynamischen Komponenten nicht entsprechen: Im Personenmodell sind es Spannungen , im Umweltmodell Kräfte.
- I Der psychologisch bedeutsame Punkt in dem sich beide Modelle jedoch entsprechen,ist der kovariierende Zusammenhang von Bedürfniszustand der Person und der Valenz eines Objekts.
Diese Aussage wirft die Frage auf, ob Bedürfnis der Person und Valenz der Umgebung lediglich zwei Seiten des gleichen Sachverhaltes sind. Sollte ein gegenseitiger Bedingungszusammenhang von Ursache und Wirkung eine angemessene Annahme sein?
* Mir erscheint es eigentlich recht plausibel, daß phylogenetisch betrachtet nur Bedürfnisse entstehen können, für die eine grundsätzliche Befriedigungsmöglichkeit besteht, also eine Valenz als Bedingung vorliegt. Was hätten auch Bedürfnisse die überhaupt nicht befriedigt werden könnten, für einen Sinn im selektiven Auswahlprozeß des Kampfes ums Überleben ?*
Lewin postuliert , daß jedes Bedürfnis eine entsprechende Valenz (Va) schafft. Diese Valenz wird von zwei Determinanten bestimmt :
- t (tension) : Bedürfnisspannung der Person
- G (goal) : Die wahrgenommene "Natur" des Zielobjekts
Daraus folgert Lewin eine allgemeine Formel : Va(G) = f(t,G)
Lewins Motivationstheorie ist im Kern auf die folgenden Vorgänge beschränkt :
- Irgendwie ist in der Person ein gespanntes System entstanden
- Diese Spannung induziert in der Umwelt eine entsprechende Valenz
- Die Valenz schafft ein Kräftefeld in der Umwelt.
- Das Kräftefeld gibt dem Verhalten der Person Antrieb und Richtung zum Zielfeld.
- Ist das Zielfeld erreicht, so wird das Bedürfnis befriedigt, das System entspannt sich.
Nach Lewin ist die Valenz die entscheidende Determinante der Kraft (f,force) die eine Person (P) in den Zielbereich drängt. Von dieser Kraft nimmt Lewin an, daß sie mit zunehmender psychologischer Entfernung (e, eP,G) zum Zielbereich abnimmt. Dementsprechend formuliert er (1938): fP,G=Va(G) / eP,G
Diese Kraft fP,G müßte man als Motivationsstärke oder resultierende Motivationstendenz bezeichnen.
Später ist Lewin noch einen Schritt weitergegangen, indem erValenz multiplikativ mit einem Erwartungskonstrukt, der sog. Potenz verknüpfte. Die Potenz bestimmt eine positive / negative Wahl in Abhängigkeit der vermuteten Wahrscheinlichkeit. Die in solchen Fällen wirksame Kraft definiert sich als : wirksame Kraft = Va(G) x Po(G) / eP,G
Diese Konzeption führt unmittelbar an die Wert-mal-Erwartungstheorien, die die aktuelle Motivationsforschung bis heute leitet.
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I Grundsätzlich muß zu Lewins Theorien leider angemerkt werden: So sorfältig die Beziehungen der hypothetischen Konstrukte untereinander ausgearbeitet sind, so vernachlässigt sind deren Beziehungen zu beobachtbaren Gegebenheiten.
Experimentelle Beiträge der Feldtheorie
Wie schon angedeutet, hat das Umweltmodell kaum experimentelle Handlungen angeregt. Eine Ausnahme ist die Untersuchung von Fajans(1933) über die Abhängigkeit der Stärke des Aufforderungscharakters von der Entfernung. (Diese Untersuchung wird weiter unten aufgegriffen)
Nachwirkungen unerledigter Handlungen
Schon Freud (1901) hat eine Fülle von Beispielen für die Nachwirkungen unerfüllter Wünsche, das heißt nicht-realisierter Handlungen gesammelt. Sie melden sich in vielfälltiger Art und Weise wieder zu Wort, sei es im freien Einfall (freie Assoziationen), im Traum oder den sogenannten Fehlleistungen (z.B. Freudscher Versprecher, oder flüchtige Störungen von momentan ablaufenden Handlungen).
Von ähnlichen Beobachtungen, nämlich den Nachwirkungen von Unerledigtem, ging Lewin bei der Entwicklung seines Personenmodells aus.
Eine Schülerin Lewins Bluma Zeigarnik (1927), wies diesen später nach ihr benannten Zeigarnik-Effekt experimentell nach.
Den Vps wurden nacheinander etwa 16-20 verschiedene Aufgaben vorgelegt. Etwa die Hälfte unterbrach der Vl vor Vollendung der Aufgabe.
Die Nachwirkungen der unterbrochenen Aufgaben kamen durch bessere Behaltensleistung (an diese Aufgaben) zum Ausdruck.
Eine Abwandlung dieses Experiments durch Maria Ovsiankina (ebenfalls Schülerin Lewins) nutzte die spontane Wiederaufnahme einzelner Aufgaben, um Nachwirkungen unerledigter Aufgaben zu überprüfen.
Den Vps wurden wiederum nacheinander etwa 16-20 verschiedene Aufgaben vorgelegt. Genau wie bei Zeigarnik wurde etwa die Hälfte vor Vollendung der Aufgabe unterbrochen.
Nach Beendigung des "Tests" blieb das Versuchmaterial vor der Vp ausgebreitet und der Vl verließ den Raum unter einem Vorwand und beobachtete (heimlich) ob und welche Aufgaben wieder aufgenommen werden.
Neben diesen beiden klassischen Verfahren, Behalten und Wiederaufnahme, sind inzwischen vier weitere Verhaltensindikartoren herangezogen worden, um die Nachwirkungen unerledigter Handlungen zu prüfen.
- Die Wiederholungswahl, das heißt die Wahl zwischen zwei wieder vorgelegten Aufgaben, von denen vorher die eine gelöst und die andere nicht gelöst wurde, zur nachträglichen Beschäftigung (Rosenzweig 1933,1945; Coopersmith, 1960)
- Neurovegetative Veränderungen, die sich bei beiläufiger Erwähnung unerledigten Materials beobachten lassen. Verschiedentlich ist eine Erhöhung des Muskeltonus zu beobachten. (Freeman, 1930; Smith 1953; Forrest,1959)
- Unterschiedliche Erkennungsschwellen für Wörter, die vollendete oder abgebrochene Aufgaben bezeichnen. (Postman u. Solomon,1949; Caron u. Wallach, 1957)
- Anstieg der Attraktivität einer Aufgabe nach Unterbrechung (Cartwright, 1942 ; Gebhardt,1948)
Ovsiankina (1928) konnte eine Abhängigkeit des Zeigarnik-Effekt von der psychologischen Distanz eP,G nachweisen. Danach wird der Zeigarnik-Effekt stärker, je kürzer eine Handlung vo ihrer Vollendung unterbrochen wird, also je geringer die psychologische Distanz eP,G
Weiterhin konnte gezeigt werden, daß nicht die Unterbrechung einer Handlung als solche für den Zeigarnik-Effekt entscheidend ist. Entscheidend ist vielmehr die psychologische Situation, wie sie für den Handelnden besteht, ob sein Handlungsziel, etwa die richtige Lösung einer Aufgabe, erreicht sieht oder nicht.
Marrow (1938) hat dies durch eine Umkehrung der Versuchstechnik gezeigt. Er teilte seinen Vps mit, daß er jedesmal unterbreche, wenn die Vp auf dem richtigen Lösungsweg sei. Aufgaben bei denen der Lösungsweg falsch sei, würde er länger bis zur endgültigen Lösung bearbeiten lassen.
Unter diesen Umständen wurden das beendete "Mißerfolgsmaterial" besser erinnert als das unterbrochene Material der (richtigen) Aufgaben.
Komplikationen des Zeigarnik-Effekts
Caron und Wallach (1959) haben ein Experiment durchgeführt, daß Fragen zum Zeigarnik-Effekt durchgeführt.
Einer Gruppe von Vpn wurde mitgeteilt, daß man sie getäuscht habe. Die unerledigten Aufgabe seien in Wirklichkeit unlösbar. Damit müßten die Aufgaben als erledigt betrachtet werden und nach Lewin bei der Reproduktion nicht besser gestellt sein.
Im Vergleich mit einer Kontrollgruppe die die Information der Unlösbarkeit nicht erhalten hatte konnten keine Unterschiede festgestellt werden.
Man muß jedoch zögern , mit diesem Ergebnis die Theorie des gespannten Systems als erledigt betrachten. Die aufklärende Mitteilung könnte ja immerhin das ungelöste Material auffrischen und dadurch einen Entspannungeffekt durch einen zusätzlichen Lerneffekt kompensieren.
Bald häuften sich auch Befunde, die im Widerspruch zur Hypothese stehen scheinen, nach welcher mit stärkeren Quasibedürfnissen auch der Zeigarnik-Effekt stärker sein müßte. Rosenzweig (1941,1943) stellte fest, daß je mehr man den Aufgaben die Bedeutsamkeit von Prüfungsmaterial gab, umso eher verschwand der Effekt oder drehte sich gar um (vgl. auch Alper, 1946,1957; Smock,1957; Green 1963). Rosenzweig erklärt diesen Befund im Rahmen der psychoanalytischen Verdrängungstheorie mit einer Selbstverteidigungstendenz.
Die Befundlage ist jedoch verworren und bis heute uneinheitlich.
Ettliche Faktoren scheinen Einfluß auf den Zeigarnik-Effekt zu haben : Schon Zeigarnik selbst fand Unterschiede der Effektausprägung bezüglich der Disposition "Ehrgeiz" bei ihren Probanten. Marrow (1938) und Green (1963) berichten über einen ausgeprägteren Effekt bei Freiwilligkeit der Versuchspersonen.
Weiter Faktoren untersuchten Alper (1946,1957) "Stärke des Ichs", Mittag (1955) "Geltungsstreben", Worchel (1957) oder Coopersmith (1960) "Selbstachtung", und besonders das "Leistungsmotiv" (Atkinson, 1953; Moulton, 1958; Heckhausen, 1963b; Weiner, 1965a)
Ersatzhandlungen
Zu den Nachwirkungen unerledigter Handlungen gehört auch, daß unbefriedigte Bedürfnisse durch Ersatzhandlungen, die der unerledigten Tätigkeit ähnlich oder von ihr abgeleitet sind, befriedigt werden können.
Bleiben Triebwünsche unerfüllt, so kommt es nach Freud zu "Triebschicksalen", zu Umwandlungen der eigentlichen Triebaktivität, sei es durch Verschiebung des ursprünglichen Triebobjekts auf ein Ersatzobjekt oder durch eine sog. Sublimation der "Triebenergie", die sich dann in anderen Aktivitäten entlädt.
Zur experimentellen Analyse bot sich Ovsiankinas Versuchstechnik der spontanen Wiederaufnahme an.
Zwischen dem Unterbrechen einer Aufgabe und der späteren Gelegenheit sie wieder aufzunehmen, wird eine andere Aufgabe eingeschoben, die vollendet werden kann. Je nachdem, ob danach die ursprüngliche und unterbrochene Arbeit wiederaufgenommen wird oder auch nicht, erweist sich, ob die Zwischentätigkeit einen Ersatzwert hat.
Nach dem Personenmodell (Bereichsgrenzen und Nachbarschaften) ist zu erwarten, daß eine Entspannung des gespannten System am ehesten durch eine Ersatzhandlung erfolgt, die der unterbochenen Aufgabe ähnlich ist.
Unter welchen Bedingungen eine andere Handlung Ersatzwert hat, ist im wesentlichen von drei Schülerinnen Lewins untersucht worden : Lissner (1933), Mahler (1933) und Henle (1944).
Lissner unterbrach Kinder z.B. beim Kneten einer Figur in Plastilin und forderte sie auf, eine andere Figur zu formen.
Der Ersatzwert für die ursprüngliche Aufgabe stieg mit der allgemeinen Ähnlichkeit zwischen beiden Aufgaben. Als weitere wichtige Dimension für den Ersatzwert stellte sich der Grad der Aufgabenschwierigkeit. War die Ersatztätigkeit leichter als die ursprüngliche Tätikkeit so war der Ersatzwert gering.
Mahler hat Ersatzhandlungen nach ihrem Realisierungsgrad variiert; z.B. eine unterbrochene Tätigkeit in der Vorstellung, in sprachlicher Form oder in tatsächlichem Handeln zu Ende bringen. Der Ersatzwert steigt mit dem Realitätsgrad der Zwischentätigkeit an.
Henle hatte ihren Ansatz im Hinblick auf das Umweltmodell gewählt. Zunächst schätzten die Vps eine Reihe von Aufgaben hinsichtlich ihrer Attraktivität ein. Damit wird es möglich, das Verhälntnis der Valenzen von unterbrochener und Ersatzhandlung zu bestimmen.
War die Valenz der Ersatzhandlung geringer als jene der unterbrochenen Handlung, so war der Ersatzwert gering oder null. Umgekehrt stieg der Ersatzwert an, je mehr die Valenz der Ersatzhandlung die Valenz der Ursprungshandlung übertraf.
Psychologische Distanz und Valenzstärke
Fajans (1933) hat zwei Altersgruppen von Kindern (Kleinkinder und Fünfjährige) ein attraktives Spielzeug in unterschiedlichen räumlichen Distanzen vorgelegt, die stets die Reichweite der Kinder überschritten. Sie hat dann die Ausdauer des zielgerichteten Verhaltens ( Hände ausstrecken, Hilfe vom Vl erbitten, Suche nach Werkzeugen) sowie die Dauer der affektiven Frustrationsreaktionen registriert.
Nach einiger Zeit, die für beide Altersgruppen gleich war, gaben die Kinder schließlich auf. Die Zeitdauer, bis dieser Punkt erreicht ist, nimmt für beide Gruppen zu, je geringer die Distanz zum Zielobjekt ist. Bei den Kleinkindern nahm mit abnehmender Distanz zudem die Intensität der affektiven Reaktion zu.
Diesen Befunden ist zu entnehmen, daß die Valenz eines Handlungsziels mit geringer werdender psychologischer Distanz ansteigt.