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Die Theorien des Vorbildlernens haben sich meist mit den motivationalen Bedingungen des Lernens von Imitation und des Lernens am Vorbild beschäftigt. Kognitiven Prozessen schenkten sie weniger Aufmerksamkeit. Der folgende Theorieüberblick trifft eine Auswahl

Instinkttheorie

Instinkt = Genetisch verankerte Verhaltensdisposition, die Lebewesen leitet, ohne Einsicht und ohne vorherige Erfahrungsmöglichkeit der Umwelt angepaßte Verhaltensweisen zu zeigen

Seit Darwin war der Instinktbegriff ein gebräuchliches Konzept zur Erklärung auch menschlichen Verhaltens. D.h. Instinkt hat hiernach eine genetische Basis, was den theoretischen Ausführungen Piagets widersprechen würde.

  • *James(1890) - ordnete Imitation ausdrücklich den Instinkten zu
  • *McDougall (1908/32) - nahm die Imitation nicht in seine Liste der 12 (später 18) Instinkte auf, obwohl er für bestimmte Imitationsreaktionen im frühen Säuglingsalter eine genetische Basis nicht ausschließen mochte.

Warum die Anerkennung eines Nachahmungsinstinkts verweigert werden muß

 

  • Nachahmungshandlungen sind äußerst verschieden, denn jede Art von Handlungen kann nachgeahmt werden; es gibt daher nichts Spezifisches in der Art der Nachahmungsbewegungen und der Sinneseindrücke, durch die die Bewegungen ausgelöst werden
  • als ein wesentlicher Wesenszug eines echten Instinktablaufs, wird ein spezifischer Impuls angesehen, der zu fortwährender Handlung treibt. Es ist jedoch Tatsache, daß der Vielheit von Nachahmungshandlungenkein gemeinsamer Antrieb zugrunde liegt, der in einer besonderen Zustandsänderung Befriedigung suchen würde

In der Psychologie geriet die Instinkterklärung des Verhaltens bald in eine Sackgasse. Verantwortlich dafür war v.a. die offensichtliche Zirkularität des Instinktbegriffs (Menschen ahmen nach; woran liegt das? Weil sie einen Nachahmungs-Instinkt haben. Wie belegt man diesen Instinkt? Dadurch, daß Menschen nachahmen...) und die damit verbundene Neigung, jeglichen Verhaltensweisen Instinkte zu unterlegen. Teilweise wird die Instinkttheorie sogar als Bremse des Forschungsfortschritts angesehen (Miller & Dollard, 1941).

Imitation bei Neugeborenen?

Frage: Gibt es doch eine genetische Basis der Imitation?

Angeregt wurde diese neue Diskussion hauptsächlich durch Ergebnisse der vergleichenden Verhaltensforschung (Eibl-Eibesfeldt;Lorenz,1978). Hier wurde der Instinktbegriff folgendermaßen eingegrenzt:

  • Angeborene auslösende Mechanismen werden als genetisch fixierte Verhaltensmuster durch ganz bestimmte Schlüsselreize ausgelöst.

*Meltzoff und Moore (1977) - Experimente

Neugeborene (12 - 21 Tage) zeigten erhöhte Auftretensraten bestimmter Reaktionsweisen (vor allem der Mundregion), wenn diese von erwachsenem Vorbild vorgemacht wurden: Spitzen der Lippe, Öffnen des Mundes, Herausstrecken der Zunge, Öffnen und Schließen der Hand.

Interpretation:

Die Autoren schließen auf einen erfahrungsunabhängigen aktiven Nachahmungsprozeß, der durch ein abstraktes Repräsentationsmedium vermittelt ist. Demnach wären Neugeborene fähig, die sensorische Info der Rize in der gleichen Modalität zu repräsentieren und so miteinander zu vergleichen.

Diskussion
  • Die Schlußfolgerung von Meltzoff und Moore widerspricht gängigen entwicklungspsychologischen Annahmen. Lt. Piaget sollten solch komplexe Nachahmungsleistungen, die das Kind an sich selbst nicht beobachten kann, innerhalb eines Entwicklungsprozesses erst ab 8-9 Monaten gelingen.
  • aufgrund fehlgeschlagener Replikationen wird der valide Nachweis von Neugeborenenimitationen in Zweifel gezogen und Methodenartefakte ins Feld geführt.
  • *Field, Cohen, u.a.(1982) - meinen eine Nachahmung bestimmter emotionaler Gesichtsausdrücke (glücklich, traurig, überrascht) bei 1 - 2 Tage alten Kindern belegt zu haben
  • *Abravanel und Sigafoos (1984) - konnten in einer sehr sorgfältigen Untersuchung die Befunde von Meltzoff und Moore nur partiell replizieren: sie fanden nur für das Herausstrecken der Zunge einen Nachahmungseffekt und das nur bei 4 - 6 Wochen alten Kindern (jüngere Kinder wurden leider nicht untersucht)
  • *Jacobson (1979) - bezweifelt nicht die Existenz des Phänomens, sondern seine Interpretation. Lt. seiner Befunde konnte die Reaktion des Zunge-Herausstreckens auch durch andere optische Reize ausgelöst werden, die dem Zunge-Herausstrecken eines Vorbilds offenbar funktional äquivalent sind (z.B. langsames Bewgen eines Stiftes auf das Gesicht des Kindes zu).

Fazit

Das Phänomen einer allgemeinen Nachahmung bei Neugeborenen läßt sich nicht nachweisen. In den ersten beiden Lebensmonaten scheint es aber eine Nachahmungsbereitschaft für das Zunge-Herausstrecken zu geben. Diese verschwindet aber in den folgenden Lebensmonaten. Das macht gerade auch im Hinblick auf die Befunde von Jacobson eine andere Erklärung als die von Meltzoff und Moore plausibel: Beim Herausstrecken der Zunge handelt es sich um ein genetisch fixiertes Verhaltensmuster, das durch ganz bestimmte visuell wahrgenommene Schlüsselreize ausgelöst wird (i.S. eines AAM).


Lerntheoretische Konzeptionen

Imitation = erworbene Verhaltensbereitscheft

Grundsätzlich interessiert hierbei nur das Lernen von Imitation, d.h. die Bedingungen, durch die eine Bereitschaft zu imitieren, erworben wird. Imitations- und Ausführungs-Kompetenz wird vorausgesetzt.

Nachahmungsverhalten wird ausschließlich durch allgemeine Lerngesetze (klassische od. operante Konditionierung) oder deren Kombination erklärt.

deutlichste Gegenposition zur Instinkttheorie!

Der Versuch, Imitation ausschließlich durch klassisches Konditionieren (assoziationstheoretische Position) zu erklären, konnte sich nicht durchsetzen


Imitation als Spezialfall des instrumentellen Konditionierens

Miller & Dollard (1941) - Bekräftigungstheorie der Imitation

Grundannahme: Ohne Bekräftigung kein Lernen und somit kein Imitationslernen

4 notwendige Bestimmungsstücke müssen für jeden Lernakt vorliegen:

  1. Bedürfnis (drive)
  2. Hinweisreiz (cue)
  3. Reaktion (response)
  4. Bekräftigung (reward = Triebreduktion)

Die Autoren diskutierten zwei Klassen von Imitationsverhalten

  • 1.) matched-dependent behavior = Eine Person reagiert auf das Verhalten eines Vorbilds, ist davon abhängig und bildet das eigene Verhalten dem beobachteten nach, da eine Bekräftigung erfolgt.Bsp: 2 Brüder erwarten die Heimkehr des Vaters, der regelmäßig Bonbons mitbringt. Der ältere hört Schritt und läuft ihm entgegen, der jüngere hinterher. Bedürfnis (Heißhunger), Reaktion (Laufen), Bekräftigung (Bonbon) sind für beide Kinder identisch. Der Hinweisreize sind aber für den älteren die Schritte, für den jüngeren der laufende Bruder.

Erfährt der Beobachter nun auch in späteren Situationen Bekräftigung für Nachahmung, bildet sich ein abgeleiteter Imitationstrieb (drive to imitate), der die Grundlage für weitere Nachahmungen liefert.

  • 2.) Copying = entspricht matched-dependent behavior, aber zusätzlich korrektive Verhaltensangleichung an das Vorbild, um dessen Verhalten möglichst exakt nachzubilden

*Miller & Dollard - Experiment

Zwei Kinder wurden in einen Raum geführt, in dem zwei Kästchen standen. Sie sollten herausfinden, in welchem Kästchen sich ein Bonbon finden würde. Das erste Kind (Vorbild) wurde zuvor unbemerkt instruiert, zu einem bestimmten Kästchen zu gehen.

Es gab zwei experimentelle Bedingungen:

  1. Das 2. Kind wurde zur Nachahmung bekräftigt: es fand in der vom Vorbld gewählten Schachtel ebenfalls einen Bonbon
  2. Das 2. Kind fand einen Bonbon in der vom Vorbild nicht gewählten Schachtel.

Ergebnisse:

Beim ersten Versuch folgte die Kinder in beiden Bedingungen nur zu 25% dem Vorbild. Aber schon nach wenigen Durchgängen zeigten die Kinder zu 100% in der ersten Bedingung Nachahmung und in der zweiten Nicht-Nachahmung. Dieses Verhalten generalisierte auch auf eine andere Situation mit 4 Schachteln.

Interpretation: Nachahmung ist ein erlerntes Verhalten !

Kritik
  1. Der Ansatz tappte in die Zirkularitätsfalle: Man muß letztlich jedem Verhalten einen gelernten Trieb unterstellen --> d.h. kein Erklärungsfortschritt
  2. Nachahmung, die nicht bekräftigt wird, kann damit nicht erklärt werden
  3. Erwerb neuen Verhaltens kann nicht befriedigend erklärt werde, denn gelernt werden hiernach Reiz-Reaktions-Verbindungen, für die dem Lernenden die Reaktionen prinzipiell bereits zur Verfügung stehen müssen
  4. Auch die Gültigkeit der Experimente kann in Frage gestellt und die Versuchssituation als einfache Problemlöseaufgabe beschrieben werden: Daß 75% der Kinder im erstenDurchgang eine andere Schachtel wählten als das Vorbild kann auch als angemessene Problemlösestrategie betrachtet werden, da der VL zuvor ausdrücklich von einem Bonbon im Kästchen sprach (aber warum haben sie es denn dann überhaupt noch versucht? = Andi) Millers & Dollards Deutung einer "gelernten Nicht-Nachahmung". Dafür spricht auch, daß die Kinder in der Nachahmungsbedingung zunächst mehr Fehler machten als die der anderen Bedingung, denn es mußte ihnen erst klar werden, daß sie in der gleichen Schachtel ebenfalls einen Bonbon finden würden.

Generalisierte Imitation

Konzept der Generalisierten Imitation (Gewirtz & Stingle, 1968)stellt eine Fortführung des Ansatzes von Miller & Dollard dar. Von deren Lerntheorie werden 3 zentrale Bestimmungsstücke beibehalten:

  • Cue
  • response
  • reinforcement

Das Konzept folgt der funktional-behavioralen Konzeption von Skinner, der Bekräftigung nicht mit Triebreduktion gleichsetzt, sondern als Bekräftiger all jene Ereignisse auffaßt, die die Auftretenswahrscheinlichkeit von Verhalten verändern. Daher wird das Konzept eines Triebes überflüssig.

Generalisierte Imitation = Klasse funktional äquivalenter Verhaltensweisen, die in der individuellen Lerngeschichte erworben wird.

Erwerb:
  1. Bildung einer Reaktionsklasse:Erste zufällige (oder aufgeforderte) Imjitationsreaktionen werden bekräftigt. Bei weiterer kontingenter Bekräftigung der Nachahmungsreaktionen, wird beim Kind eine Klasse von Verhaltensweisen generiert, die im Hinblick auf die Bekräftigungn funktionsäquivalent sind, ansonsten jedoch heterogen sein können.
  2. Generalisierung: Diese Reaktionsklasse kann sich auf Verhaltensweisen ausweiten, deren Nachahmung nie bekräftigt wurde
  3. Intermittierende Bekräftigung: Zur Aufrechterhaltung der generalisierten Imitation ist dann nach den Prinzipien der op. Konditionierung nur noch gelegentliche Bekräftigung notwendig.
Typisches Experiment

Ein Vorbild demonstriert verschiedene Verhaltensweisen. Das Kind wird für die Nachahmung einiger dieser Verhaltensweisen bekräftigt, für andere nicht. Generalisierte Imitation ist daran abzulesen, in welchem Ausmaß die Kinder auch jene Verhaltensweisen nachahmen, für deren Nachahmung sie nicht bekräftigt wurden.

Bewertung

Hiermit kann erklärt werden, wie es zur Imitation auch ohne unmittelbare Bekräftigung kommt und weshalb Verhaltensweisen nachgeahmt werden, deren Nachahmung nie bekräftigt wurde.

Offene Fragen
  • Ist die Genese der Imitation an ihrem Ursprung durch ein Zusammentreffen einer Imitationsreaktion und einer folgenden Bekräftigung zwingend gekennzeichnet?
  • Problem der Selektivität der Imitation. Generalisierte Imitation erklärt ja eigentlich mehr als jemals beobachtet wurde
  • Wie gelingt es Kindern ein Vorbild nachzuahmen, wenn das Vorbild selbst nicht mehr anwesend ist?


Kognitiv-affektive Vermittlung

Mowrer (M, 1960) und Aronfreed (A, 1968/69) führten in ihrer affektiv-kognitiven Nachahmungstheorie kognitiv-affektive Vermittlungskonstrukte in die Lerntheorie der Imitation ein. Ziel war es, die Spanne zwischen der Beobachtung und der Verhaltensausführung zu überbrücken.

1.) Sie postulierten ein kognitives Abbild (M: "image",A: "Kognitive Schablone") des Vorbildverhaltens, das der Beobachter während der Beobachtung erstellt. Dieses Abbild dient dem Beobachter später als Vorlage für die eigene Verahltensausführung.

Bewertung:
  • Mit der behavioristischen Sichtweise wurde gebrochen.
  • Hiermit ist der Übergang zur Zwei-Faktoren-Theorie der Imitation von Bandura angelegt: Lernen, d.h. der erwerb des Abbildes findet nun vor der verhaltensausführung statt.
  • man kommt der Erklärung des Erwerbs neuen Vrhaltens sowie der verzögerten Nachahmung ein Stück näher.

2.) Affektänderungen, die der Beobachter während der Beobachtung erfährt, werden durch klassische Konditionierung mit dem Abbild assoziiert.

Z.B. erwirbt ein Kind ein mit positiven Emotionen besetztes Abbild, wenn das beobachtete Verhalten einer Pflegeperson zeitlich mit Zuwendung gekoppelt ist.

Dies hat zugleich einen hohen sekundären Bekräftigungswert. D.h. die affektiven Besetzungen des Abbilds motivieren deren Nachahmung: Durch ein Verhalten, das dem Abbild gleicht, erfährt das Kind die affektiven konsequenzen erneut.

Bewertung

Imitation ist somit selbstbekräftigend ("intrinsischer Wert"), d.h. unabhängig von weitren externen Konsequenzen.

Kritik
  1. Aus kognitionspsychologischer Sicht gibt es keine präzisen Angaben über die Prozesse des Aufbaus u. der Speicherung der Abbilder und deren Umsetzung in Verhalten.
  2. Aus motivationspsychologischer Sicht wird kritisiert, daß nicht nur emotionale Prozesse beim Imitationslernen eine große Role spielen.