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Reaktionsunsicherheit

*Thelen, Dollinger und Kirkland (1979) haben das Konzept der "Reaktionsunsicherheit" (response uncertainly) entwickelt, um die Nachahmung in solchen Situationen erklären zu können, in denen keine Bekräftigungsanreize wirken.

Reaktionsunsicherheit = Zustand, in dem die Person nicht über schnell abrufbare Handlungspläne

verfügt und sich unsicher über situationsangemessenes Verhalten ist.

Thesenstützende Befunde (Thelen et al.)

1. Die Bereitschaft zur Nachahmung sinkt mit zunehmender Situationsstrukturiertheit

2. Die Bereitschaft zur Nachahmung sinkt mit zunehmender Vorkenntnis bezüglich der Aufgabe

3. Die Bereitschaft zur Nachahmung steigt mit vorheriger Mißerfolgserfahrung

Situationsstrukturiertheit und Vorkenntnisse versorgen die Person mit konkreten Handlungsanleitungen und reduzieren Unsicherheit. Mißerfolgserfahrungen erhöhen diese.

Annahme: --> Nachahmung hat eine unsicherheitsreduzierende Funktion (Erhöhung von

Kompetenzgefühlen)

Das typische Vorbildexperiment dürfte einen hohen Grad an Unsicherheit erzeugen, was vermutlich bisher zu einer Überschätzung der Wirkung von Vorbildern geführt hat

Vorbildwirkungen beim Leistungshandeln

Die Sensitivität von Parametern leistungsorientierten Handelns für Vorbildeinflüsse beschäftigt die Vorbildforschung seit langem. Besonderes interesse fanden Vorbildwirkungen auf Standards, die kinder an ihr eigenes Leistungshandeln anlegen.

Problem: Befunde u.a. von Bandura und Kupers (1964) zeigten, daß kindliche Selbstbewertungsstandards anscheinend mühelos durch Vorbilder beeinflußt werden können. Leistungsmotivationstheoretisch muß dies allerdings bezweifelt werden, denn hier werden Selbstbewertungsstandards als relativ feste Bestandteile überdauernder Motivsysteme, trotz unterschiedlicher Vorkenntnisse, aufgefaßt (Halisch, Heckhausen).

In der bisher angewandten typischen Versuchsaufgabe (eine Art Mini-Bowling-Spiel) handelte es sich um ein Zufallsspiel, in dem die Kinder kaum einen Bezug zwischen Handlung und Ergebnis herstellen konnten. Es war somit keine leistungsthematische Situation. Desweiteren hatte keines der Kinder Vorkenntnisse mit dieser Aufgabe. Sie befanden sich also im Zustand hoher Reaktionsunsicherheit und haben somit auch jeweils bereitwillig die Spielregeln übernommen. Somit ist durch diese Versuche nur die Vorbildwirkung auf Programmebene nachgewiesen. Es ist jedoch nicht klar, ob auch auf der Prinzipienebene, wo ja frühestens die bedeutungsrelevanten Standards für eigenes Handeln liegen, ein Vorbildeinfluß stattgefunden hat.

Anhand der folgenden Untersuchung soll der Widerspruch zw. dem theoretischen Anspruch und den Befunden mittels einer Interpretation durch Kombination von dem Modell der Regelkreisebenen mit der These der Reaktionsunsicherheit geklärt werden. Hierbei wurde mit einer Methodikvorgegangen, die den theoretischen Erfordernissen angemessen ist.

Experiment von Halisch (1983)

Hierbei wurde eine Leistungsaufgabe verwendet und die Vorerfahrung der Kinder mit der Aufgabe variiert. Das Leistungsmotiv der Kinder wurde erhoben. Die Kinder beobachteten ein Vorbild, das die gleichen Leistungsergebnisse erzielte wie sie, sich selbst aber in einer Bedingung hohe und in der anderen niedrige Leistungsstandards setzte. Als abhängige Variablen wurden bei den Kindern leistungsthematische Variablen erhoben (u.a. Standardsetzungen).

Abb. 2: Standardsetzung Zehnjähriger bei einer Leistungsaufgabe nach Beobachtung eines Vorbilds, das sich selbst hohe oder niedrige Standards setzte. Die Leistung sowohl der Kinder als auch des Vorbilds lag bei 10, der hohe Vorbildstandard bei 13, der niedrige bei 7 Leistungspunkten. Die Kinder hatten entweder a) Aufgabenerfahrung oder b) nicht.

 

Vorbildstandard Vorbildstandard

a) mit Aufgabenerfahrung b) ohne Aufgabenerfahrung

Ergebnisse:

  • Unter Bedingung a) ist der Vorbildeinfluß geringer. Es gibt einen klaren Motivationseinfluß: Mißerfolgsmotivierte richten sich trotz eigener Aufgabenerfahrung nach dem Vorbildstandard. Erfolgsmotivierte bleiben entweder unbeeinflußt oder verhalten sich kontraimitativ.
  • Unter Bedingung b) orientieren die Kinder ihren Standard an dem des Vorbilds. Allerdings übernehmen sie diesen nur selten exakt. Stattdessen setzen sie offenbar Vorbildtüchtigkeit

(-standard) und eigene Tüchtigkeit in Beziehung. D.h. sie übernehmen ein Prinzip.

  • Zur Stabilität: In der zunehmenden Beschäftigung mit der Aufgabe passen Kinder der Bedingung b) ihren Standard zunehmend dem eigenen Leistungsniveau an. Hingegen bleiben Vorbildeffekte, die in Bedingung a) trotz Vorerfahrung eingetreten sind, (--> Mißerfolgsmotivierte) über längere Zeit stabil.
Interpretation
  • Die These der mühelosen Beeinflußbarkeit von Selbstbewertungsstandards kann nur für den seltenen Fall völlig unvertrauter Aufgaben gelten, für die man noch keine Handlungs- und Bewertungsmuster parat hat.
  • Konnten Kinder ihre Tüchtigkeit zuvor schon einmal erproben sind die Vorbildeffekte abhängig von Beobachtermerkmalen. Erfolgs- und Mißerfolgsmotivierte folgen unterschiedlichen Prinzipien der Standardsetzung.Mißerfolgsorientierte sind empfänglich für den Vorbildstandard, Erfolgsmotivierte lehnen diesen ab (orientieren sich an eigenen Tüchtigkeitsstandards). Dies spricht gegen die Annahme von Thelen et al., daß Personunterschiede der Vorbildwirkung vor allem in Situationen hoher Reaktionsunsicherheit zum Tragen kommen.
  • Bei Vertrautheit mit einer Aufgabe werden Personunterschiede in der Anfälligkeit gegenüber externen Standards und der Fähigkeit zu eigenständiger Handlungsregulation deutlich