Was ist ein genaues Urteil
(Seite 24-25)
Bei der Beurteilung von Personen, stellen wir uns die Frage was denn nun deren wirkliche Eigenschaften sind. Tests sind weder vollkommen reliabel noch vollkommen valide. Selbstbeurteilungen sind nicht objektiv noch unvoreingenommen, und Freunde wissen über manche Eigenschaften der Zielperson häufig nicht mehr als Fremde. Wir stehen vor dem Problem, daß es die genaue Personenbeschreibung, die uns als reliabler Maßstab dienen könnte, vielleicht gar nicht gibt.
Genaue Wahrnehmung von Emotionen
(Seite 25-26)
Die Einschätzung der momentanen Gefühlslage einer Person kann zuweilen wichtiger sein als das Wissen um die grundlegenden Charaktereigenschaften. Schlüsse auf den momentanen emotionalen Zustand eines Menschen sind also eine besonders wichtige Form von Wahrnehmungsurteilen. Die wichtigste Quelle über den Gefühlszustand einer Person ist sein Gesichtsausdruck. Die ersten Untersuchungen zu diesem Thema stammen von Darwin. In seine Fußstapfe traten andere und fragten sich zweierlei :
- 1. Inwieweit läßt der Gesichtsausdruck eines Menschen genaue Schlüsse auf seinen momentanen Gesichtsausdruck zu ?
Die ersten Untersuchungen zu diesem Thema waren sehr einfach. Versuchspersonen wurden gebeten anhand von Foto den Gesichtsausdruck einer Person zu beurteilen.
Landis (1924) legte seinen Zielpersonen (deren Gesichtsausdruck später anhand von Fotos beurteilt werden sollte) pornographische Fotos vor, verabreichte Elektroschocks, ließ sie in einen Eimer mit Fröschen greifen oder eine lebende Ratte köpfen (!) um eine entsprechende Emotion hervorzurufen.
Sherman (1927) machte eine ähnliche Studie mit Babyfotos.
Die Probanten waren bei der Beurteilung der Gesichtsausdrücke nicht besonders erfolgreich. Schließlich kann ein und dieselbe Situation bei verschiedenen Menschen unterschiedliche emotionale Reaktionen hervorrufen. Zudem reagieren Menschen auf eine komplexe Situation nur höchst selten mit einer einzigen, reinen Emotion.
- 2. Sind die Gesichtsreize in allen Kulturen dieselben (universell).
In jüngerer Zeit haben Izard (1971) und Ekman, Sorensen und Friesen (1969) zum selben Zweck Gesichtsausdrücke unvermischter Emotionen ausgewählt (Freude, Trauer, Ekel, Überraschung) und festgestellt, daß die meisten Beurteiler die zu Gesichtsausdruck gehörende Emotion mit hoher Treffsicherheit identifizierten. Auch Beurteiler aus anderen Kulturkreisen nahmen die von europäischen Gesichtern kommunizierten Emotionen richtig wahr.
In unseren Alltagssituationen sind wir selten allein auf den Gesichtsausdruck angewiesen (ganze Situation, frühere Begegnungen, bisheriger Verlauf), so wird unsere alltägliche Trefferquote höher sein, als dies die Untersuchungen von Sherman oder Landis vermuten lassen.
Genaue Wahrnehmung von Persönlichkeitszügen
(Seite 27-31)
Ziel der Wahrnehmung ist natürlich nicht nur ein flüchtiger Gesichtsausdruck , sondern auch die Wahrnehmung von überdauernden Persönlichkeitszügen von Menschen. Da sich Menschen in verschiedenen Situationen keineswegs konsistent verhalten, werden wir uns zunehmend bewußt, daß Persönlichkeitszüge nichts von Dauer oder gar Unveränderliches sind, sondern zu einem guten Teil von der uns umgebenden Situation bestimmt werden.
Die Forschung zur Personenwahrnehmung ist ebenso umfangreich wie widersprüchlich:
Vernon (1933) z. B. stellte fest, daß manche Menschen am besten über Ihre beurteilen konnte, andere am besten Fremde und wieder andere am besten sich selbst. Einige Studien haben einen Zusammenhang mit Empathiefähigkeit und Wahrnehmungsgenauigkeit. In einer Untersuchung von Taft (1955) waren gute Beurteiler u.a. künstlerischer, akademisch erfolgreicher, emotional besser angepaßt als andere und hatten nichts mit Verhaltenswissenschaften zu tun. Dieses letzte Ergebnis scheint auf den ersten Blick erstaunlich ist aber damit zu erklären, daß psychologisch geschulte Menschen individuellen Unterschieden erhöhte Aufmerksamkeit zuwenden und somit leicht überdifferentieren, was sich wiederum in schlechteren Genauigkeitswerten niederschlägt.
Nach Cronbach (1955), ist Genauigkeit bei der Beurteilung anderer keine diskrete, einheitliche Eigenschaft bestimmter Menschen, sondern eine Kombination aus etlichen, häufig in keinerlei Zusammenhang stehenden Komponenten und Faktoren.
Bei Gage (1952) lesen wir, daß Urteile die ausschließlich auf der Basis sehr allgemeiner Informationen abgegeben wurden genauer waren als Urteile nach einer Phase direkten Kontaktes mit der fraglichen Person. Unser Urteil, besonders bei Fremden wird umso genauer geraten, je mehr wir uns darauf konzentrieren, die allgemeinen, typischen Merkmale der Gruppe zu identifizieren, zu der eine Zielperson gehört.