Tobias (4J.) sieht bei seinem Onkel eine große Hexenmaske an der Wand. Er geht immer wieder auf sie zu, dann aber wieder zurück. Wie erklärt die Lernpsychologie dieses Phänomen?

Miller et al. (1944-59) - erste Experimente
  • Frage: Was geschieht, wenn ein aversiver Reiz gleichzeitig positive Valenzen aufweist?
  • Ergebnis: Aufsuchen - Meiden - Konflikt

ein Objekt wird gleichzeitig angestrebt (Aufsuchen-Tendenz) und gefürchtet (Meiden-Tendenz)

 


Brown (1940/48)

Untersuchung der Stärke der Aufsuchen - Meiden - Tendenz in Abhängigkeit von der Nähe zum Ziel 

Versuchsaufbau: Vier Gruppen von N=74 Ratten wurden mit Futter als Verstärker darauf trainiert, in einem Laufgang (hier konnte man an verschiedenen Punkten die Zugstärke der angeschirrten Ratten mittels Feder registrieren) rasch zum Ziel durchzulaufen. Darauf:

  • Gruppe1 - stark Futter-depriviert (46 h) --> starke Aufsuchen-Tendenz
  • Gruppe 3 - starker elektrischer Schlag am Ziel --> starke Meiden-Tendenz
  • Gruppe 2 = gerine Futterdeprivation, Gruppe 4 = schwacher elektr. Schlag

Die Zugstärke der Ratten wurde hin bzw. weg vom Ziel in 30 und 170 cm Entfernung gemessen.

  • Ergebnisse: der Gruppen 1 und 3
  1. Mit zunehmender Annäherung an das Ziel stieg die zugstärke in beiden Gruppen
  2. Der Meiden-Gradient (Anstieg) der Gruppe 3 war steiler als der Aufsuchen-Gradient der Gruppe 1
  3. in den Gruppen 2 und 4 fielen die Zugstärken geringer aus

Miller (1959)

Ratten wurden durch Futter positiv verstärkt, in einem Gang zum Ziel zu laufen. Danach wurden diese Tiere elektrischen Schlägen ausgesetzt. Die Stärke der elektrischen Schläge und die Daur des Futerentzugs wurde vatriiert und damit die Höhe der Aufsuchen- und Meiden-Tendenz.

Ergebnisse:

  • Die Tiere liefen i.d.R. zunächst zum Ziel, verharrten dann aber an einem bestimmten Punkt oder bewegten sich dort scheinbar ziellos hin und her
  • dieser Punkt rückte immer weiter weg vom Ziel, wenn man entweder die Futterdeprivation reduzierte oder die Stärke der elektrischen Schläge erhöhte

Konfliktmodell von Miller (1944/59)

Beinhaltet 5 Grundannahmen

  1. Die Aufsuchen-Tendenz wächst mit zunehmender Zielnähe
  2. Die Meiden-Tendenz wächst mit zunehmender Zielnähe
  3. Die Meiden-Tendenz wächst rascher als die Aufsuchen-Tendenz
  4. Die Stärke der Aufsuchen-Tendenz und der Meiden-Tendenz hängt von dem jeweilig zugrunde liegenden Antrieb ab (Ausmaß an Furcht in Abhängigkeit von Hunger oder Stärke der Stromschläge)
  5. Wenn zwei miteinander unvereinbare Verhaltenstendenzen in Konflikt stehen, so setzt sich die stärkere Tendenz durch.

 

Schematische Darstellung des Aufsuchen-Meiden-Konflikts nach Miller

  • die aus der Differenz aus Aufsuchen- und Meiden-Tendenz ermittelbare Verhaltenstendenz hin zum Ziel ist in großer Entfernung gering, wächst dann langsam an und nimmt dann aufgrund der einsetzenden Meiden-Tendenz wieder ab, um schließlich im Punkt k gegen 0 zu gehen.
  • Punkt k = die beiden miteinander nicht vereinbaren Tendenzen stehen im Gleichgewicht -> an diesem Punkt tritt der Verhaltenskkonflikt auf, Tier oder Mensch sind wie gefangen von den konfligierenden Tendenzen.

 

Empirischer Bestätigungsgrad des Modells

siehe Ergebnisse von Brown und Miller

Theoretische Grundlagen des Modells

Hull(1932- 52)
  • Konstrukt des "Verstärkungs- bzw. Zielgradienten"
  • zielnahe Verhaltensweisen werden nachhaltiger und schneller gelernt als frühe Komponenten einer Verhaltenskette (Bsp: im Labyrinth werden falsche Reaktionen, die in Sackgassen führen wesentlich rascher eliminiert, wenn sie nahe dem Ziel erfolgen. Kurze Wege werden langen vorgezogen)
  • Grundannahmen 1 und 2 von Miller gehen darauf zurück.
Miller(1959)

Begründung für unterschiedliche Steilheit der beiden Gradienten unterschiedliche Antriebsbedingungen für beide Verhaltenstenzen
  • Meiden-Tendenz = völlig situationsabhängig
  • das Ziel und die Reize auf dem Weg dorthin haben die Fkt. Furcht auslösender Hinweisreize. Die Meiden-Tendenz tritt daher erst in Zielnähe auf!
  • Aufsuchen-Tendenz = situationsunabhängig
  • der Basis- Antrieb (z.B. Hunger) ist auch weit entfernt vom Ziel vorhanden und damit zielunabhängig, allerdings wird die Tendenz auf dem weg zum Ziel durch entspr. Hinweisreize verstärkt.

 

Anwendungsfragen

Situationen, in denen die Aufsuchen-Tendenz etwa gleich stark wie die Meiden-Tendenz ist, sind aus folgenden Gründen sehr unangenehm:

  1. Verhaltensblockierung (wird als besonders angstauslösend angesehen)
  2. hoher Anspannungsgrad (ergibt sich lt. Konflikt-Modell aus der Summe der beiden Tendenzen)
  • Versucht man daher aus therapeutische Gründen, den Ort des Gleichgewichtszustandes in Zielnähe zu verschieben, ist es sinnvoller, die Meiden-Tendenz herabzusetzen, da eine Erhöhng der aufsuchen-Tendenz auf Kosten eines noch höheren Spannungszustandes ginge

Miller (1948)- brachte den Aufsuchen-Meiden-Konflikt mit dem psychoanalytischen Konzept der "Verschiebung" in Verbindung. Aus Tierexperimenten ging hervor, daß der Kontakt mit Objekten, die dem Zielobjekt nur teilweise ähnlich sind (denen sich der Proband aber gerade noch annähern kann), dazu führt, daß allmählich die Vermeidungstendenz für das urspr. aversive Zielobjekt so sinkt, daß auch hier Annäherung möglich wird.

Das Ziel als zeitliche Nähe (bisher räumliche Nähe betrachtet)
  • Krohne (1975) - Beispiel für Aufsuchen-Meiden-Konflikt = Situation einer auf einen best. Termin fixierten Prüfung. Man hat sich angemeldet, gelernt und mit näherrückendem termin steigt die Furcht vor dem Ereignis bis zu dem Punkt, an dem man u.U. beschließt, nicht teilzunehmen.
  • Epstein - beim Fallschirmspringen klare Zunahme der Meiden-Tendenz bis zum Zeitpunkt des Signals zum Absprung. Die Spitzenwerte rückten allerdings bei erfahrenen Springern immr mehr in die Vorbereitungszeit zurück.