Entwicklung von Gedächtnisstrategien
Das Gedächtnis entwickelt sich nur teilweise. Eine grundlegende Funktionstüchtigkeit existiert (wie bei den Sinnesorganen) zeitlebens.
Veränderung und Entwicklung erfolgt vor allem bei den GedächtnisstrategienFN6.
2.1 Zur Entwicklung einzelner Strategien
2.1.1 aktives Wiederholen (rehearsal)
Das laute oder leise wiederholende Hersagen (rehearsal) wird als die einfachste Strategie betrachtet.
Die Abruffähigkeit aus dem KZS (retrieval) ist Bedingung für rehearsal. Der Abruf wird durch die optische Darbietung des Objekts erleichtert.
Der Aufbau der rehearsal-Strategie erfolgt mit 8 Jahren.FN7
2.1.2 Gruppieren und Organisieren
Hierbei handelt es sich um die Umstrukturierung des Materials nach logischen oder anderen Prinzipien der Zusammengehörigkeit. Eine hierarchische Gruppierung ist vorteilhaft.FN8
Zur Entwicklung dieser Strategie : Bei 5-jährigen konnte ein spontanes Auftreten dieser Strategie nicht beobachtet werden, während etwa die Hälfte der 10-jährigen und alle Erwachsenen die Vorteile des Gruppierens nutzten.FN9
2.1.3 Elaborative ( hochentwickelte ) Gedächtnisstrategien
Bei elaborativen Gedächtnisstrategien wird dem Lernmaterial eine Verknüpfung, bild-hafter oder verbaler Natur, hinzugefügt - z.B. eine Geschichte oder ein Bild. Ein einprägsames Beispiel hierfür sind Paarassoziationen (zu deutsch : Eselsbrücken).
Bereits Kinder im Alter von 5-6 Jahren können verbale Verknüpfungen einsetzen wenn sie dazu angeleitet werden. Die Wirkung dieser Technik steigt bis zum 11. Lebensjahr noch an. Spontan werden diese Strategien jedoch auch im Erwachsenenalter nicht von allen Menschen genutzt
2.2 Denken und die Motivation
2.2.1 Zum Einfluß von Denkoperationen
Nach Piaget ist die Gedächtnisleistung eng mit den Strukturierungsleistungen des Denkens verknüpft. Case (1978) versucht durch eine detaillierte Analyse von Piaget- Aufgaben zu zeigen, daß die Leistungsfortschritte des KZS nicht auf eine entwicklungsbedingte Kapazitätserweiterung, sondern vielmehr auf den Einsatz von Strategien und Operationen zurückzuführen sind. Der kognitive Fortschritt geht also seiner Meinung nach einerseits auf den Aufbau effektiver Strategien, die wenig Speicherplatz benötigen, und andererseits auf die Nutzung von automatischen Operationen, die gar keinen Speicherplatz benötigen, zurück.
2.2.2 Zum Einfluß der Motivation
Der Sinn einer Gedächtnisaufgabe für das Subjekt beeinflußt die Gedächtnisleistung in erheblichem Maße. So erfolgt eine beiläufige (nicht willentliche) Einprägung von Material umso besser, je interessanter bzw. persönlich bedeutsamer die Ereignisse waren.FN10 In unserem Lebenslauf erfahren wir eine Veränderung der Sinnstiftung bei Gedächtnisleistung : Für kleine Kinder machen vor allem Gedächtnisleistungen im Zusammenhang mit ihrer Spieltätigkeit einen Sinn. Bei Schulkindern wird das Lernen per se als sinnvolle Aufgabe erkannt. Beim Erwachsenen wird der Sinn einer Gedächtnisleistung dann vorwiegend mit berufsbedingten Aufgaben verknüpft.
- 6 Der Strategiebegriff nach Naus und Ornstein (1983) :" aufgabenbezogene Kognitions- und Verhaltensaktivitäten, die das Subjekt willentlich einsetzt, um die Gedächtnisleistung zu verbessern ".
- 7 siehe den Versuch S 549 im Oerter/Montada
- 8 Bower et al. zeigten 1969, daß sich die Gedächtnisleistung durch eine hierarchische Gliederung des Materials um bis zu 40 % verbessert.
- 9 siehe den Versuch S 549 im Oerter/Montada
- 10 Wahrscheinlich können sich viele an frühe Ereignisse erinnern, bei denen sie/er sich in irgendeiner Weise wehgetan oder sogar verletzt hat. Hierbei ist die Gedächtnisleistung nicht durch einen willentlichen Akt bedingt, sondern hängt mit der Bedeutsamkeit des Ereignisses zusammen
Wissen und Gedächtnis
Nach Meumann (1912) kann das Gedächtnis umso mehr (sinnvolle) Informationen aufnehmen, je mehr Informationen sich bereits im Gedächtnis befinden. Die Gedächtniskapazität des LZS wird als nahezu unbegrenzt anzusehen.
3.1 Wissen verbessert die Gedächtnisleistung
Je differenzierter und reichhaltiger das bereits im Gedächtnis vorhandene Material ist, umso mehr Elemente lassen sich an das bereits ausgebildete Wissen anknüpfen. Die Gedächtnisentwicklung ist also in diesem Sinne vorwiegend als Aufbau von Wissens-strukturen zu verstehen.
3.1.1 Das Metagedächtnis
Eine wesentliche Rolle bei der Gedächtnisleistung spielt auch das Wissen um die Funktionsweise des Gedächtnisses selbst. Dieses Metawissen ist vor allem das Wissen über Strategien und die Vorteile ihrer Verwendung.FN11
3.1.2 Experte und Laie
Die Zunahme der Lern- und Gedächtnisfähigkeit hängt mit der Wissensakkumulation eng zusammen. So können Experten auf ihrem jeweiligen Wissensgebiet erheblich mehr und vor allem schneller lernen als Neulinge. Diese größere Fähigkeit läßt sich auf unterschiedliche Chunkgrößen zwischen Experte und Laie zurückführen.
3.2 Der Aufbau von Wissensstrukturen
Unsere Erfahrungen werden nicht Stück für Stück angesammelt, sondern als zusammenhängende Wissensstruktur konstruiert. Der entscheidende Faktor sind vorausgegangene Erfahrungen. Diese früheren Erfahrungen werden vereinfacht und schematisiert. So haben wir für viele unserer Aktionen bereits vorgefertigte Handlungsschemata, die bei entsprechenden Aktionen dann den Ablauf und die Folgen unseres Tuns bestimmen. Schank und Abelson (1970) führten den Begriff des Skripts als schematischen Ablaufplan eines Ereignisses ein. Mit etwa 3 Jahren sind Kinder in der Lage, Ereignisse in Form von Skripts zu repräsentieren. Erst damit sind sie in der Lage, wiederkehrende Ereignisse im Gedächtnis festzuhalten.
Vieles an Wissen, das wir aufnehmen ist unwichtig - es ist für die Lebensbewältigung nicht von Bedeutung. Anders verhält es sich mit dem autobiographischen Wissen, denn es bildet die Grundlage unserer eigenen Identität. Dieses biographische Wissen scheint sich beim Kind erst mit etwa drei Jahren zu entwickeln.FN12
- 11 Leider hängen das Wissen über günstige Gedächtnisstrategien und ihre Anwendung nicht zwangsläufig zusammen. (dummerweise !). (Salatas & Flavell 1976, Cananaugh & Borkowski 1980)
- 12 Hier finden wir auch den Grund, warum wir uns nur selten an Ereignisse vor dem dritten Lebensjahr erinnern können.
Fazit
In der aktuellen Diskussion zur Gedächtnisleistung spielen hauptsächlich zwei Hypothesen eine Rolle. Die Entwicklung der Leistungssteigerung durch wachsende Gedächtniskapazität und die Entwicklung der Nutzung von Strategien zur Automatisierung von Gedächtnisprozessen.
Offensichtlich ist jedoch , daß der planend und überlegt Lernende dem rein mechanisch Lernenden auf Dauer überlegen ist.