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Kategorie: Sozialpsychologie
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Zusammenfassung Kapitel 2 des Werkes Soziale Interaktion und Kommunikation des Autors Joseph  P.  Forgas


Die Schwierigkeit, andere richtig einzuschätzen

(Seite 20)

Die Wahrnehmung anderer ist eine der vorrangigen und zugleich komplexesten Aufgaben, vor die wir alltäglich gestellt werden. Personenwahrnehmung ist das erste entscheidende Stadium jeder zwischenmenschlichen Interaktion, denn bevor wir uns sinnvoll auf andere beziehen kön­nen, müssen wir sie wahrnehmen und interpretieren. (einschätzendes Beobachten)

Objektwahrnehmung versus soziale Wahrnehmung


(Seite 21-22)

Während sich die Wahrnehmung der physikalischen Welt auf unmittelbar beobachtbare Merk­male (Größe, Gewicht, Geschmack) richtet, sind Charakteristika der sozialen Wahrnehmung oft nicht direkt zugänglich, sondern müssen erschlossen werden.(Einstellungen, Charakter  oder In­telligenz des Gegenüber).

Auch Fehleinschätzungen sind im Gegensatz zur Objektwahrnehmung nur schwer zu revidie­ren.

 

Die Personenwahrnehmung wird zudem von bereits vorhandenen Gefühlen, Einstellungen und Motivationen stark beeinflußt. Dies führt zu Wahrnehmungsverzerrungen bezeichnet als moti­vational biases (motivationsbedingte Wahrnehmungsverzerrungen), die bis zur selbst erfüllen­den Prophezeiung führen können.

Forschungsbereiche der Personenwahrnehmung

(Seite 22)

Die erste naheliegende Fragestellung bezieht sich auf die Genauigkeit der Personenwahrneh­mung. Wir alle haben bereits ganz bestimmte Vorstellungen vom Menschen im allgemeinen, sogenannte implizite Persönlichkeitstheorien. Die genauere Untersuchung solcher impliziten Theorien geben interessante Aufschlüsse über die fixen Kategorien, nach denen die Menschen einander beurteilen.

Urteilsgenauigkeit bei der Personenwahrnehmung

(Seite 23-24)

Die Genauigkeit von Personenurteilen sind im alltäglichen Leben von großer praktischer Bedeu­tung.(Gericht, Bewerbungen, Prüfungen). Zur Überprüfung der Genauigkeit braucht man drei Dinge.

Techniken zur Präsentation einer Stimulusperson :

- persönlich (direkte Begegnung oder Interview)

- persönlich (unbemerkte Beobachtung)

- per Tonband, Video, Fotografie

- durch standardisierte Tests

- durch persönliche Dokumente (Briefe, Bilder, autobiographische Aufzeichnungen)

- durch zurückgreifen auf frühere Erfahrungen der Beurteiler

Techniken zur Erhebung von Wahrnehmungsurteilen. :

- Schätzungen auf bipolaren Skalen

- Prognosen über zukünftiges Verhalten der Zielperson

- Vorhersagen über Beurteilungen der Zielperson seitens Experten (z.B. Psychiater)

- Vorhersagen über die Ergebnisse standardisierter Tests

- Einschätzung der Zielperson mittels einer Eigenschaftswortliste

- Einordnen in eine Reihe von anderen Personen bezüglich des Merkmals

- freie Beschreibung

Kriterien zur Evaluierung der Urteilsgenauigkeit :

- Abschneiden der Zielperson bei objektiven psychologischen Tests

- Informationen der Zielperson selbst (Selbsteinschätzung )

- Beurteilung durch mit der Zielperson vertraute Personen (Kollegen, Freunde, Chef)

- demographische oder andere Tatsacheninformationen

-direkt beobachtete Merkmale oder Verhaltensweisen

aus Cline 1964


 

Was ist ein genaues Urteil

(Seite 24-25)

Bei der Beurteilung von Personen, stellen wir uns die Frage was denn nun deren wirkliche Ei­genschaften sind. Tests sind weder vollkommen reliabel noch vollkommen valide. Selbstbeur­teilungen sind nicht objektiv noch unvoreingenommen, und Freunde wissen über manche Ei­genschaften der Zielperson häufig nicht mehr als Fremde. Wir stehen vor dem Problem, daß es die genaue Personenbeschreibung, die uns als reliabler Maßstab dienen könnte, vielleicht gar nicht gibt.

Genaue Wahrnehmung von Emotionen

(Seite 25-26)

Die Einschätzung der momentanen Gefühlslage einer Person kann zuweilen wichtiger sein als das Wissen um die grundlegenden Charaktereigenschaften. Schlüsse auf den momentanen emotionalen Zustand eines Menschen sind also eine besonders wichtige Form von Wahrneh­mungsurteilen. Die wichtigste Quelle über den Gefühlszustand einer Person ist sein Gesichts­ausdruck. Die ersten Untersuchungen zu diesem Thema stammen von Darwin. In seine Fuß­stapfe traten andere und fragten sich zweierlei :

Die ersten Untersuchungen zu diesem Thema waren sehr einfach. Versuchspersonen wurden gebeten anhand von Foto den Gesichtsausdruck einer Person zu beurteilen.

Landis (1924) legte seinen Zielpersonen (deren Gesichtsausdruck später anhand von Fotos beurteilt werden sollte) pornographische Fotos vor, verabreichte Elektroschocks, ließ sie in einen Eimer mit Fröschen greifen oder eine lebende Ratte köpfen (!) um eine entsprechende Emotion hervorzurufen.

Sherman (1927) machte eine ähnliche Studie mit Babyfotos.

Die Probanten waren bei der Beurteilung der Gesichtsausdrücke nicht besonders erfolgreich. Schließlich kann ein und dieselbe Situation bei verschiedenen Menschen unterschiedliche emotionale Reaktionen hervorrufen. Zudem reagieren Menschen auf eine komplexe Situation nur höchst selten mit einer einzigen, reinen Emotion.

In jüngerer Zeit haben Izard (1971) und Ekman, Sorensen und Friesen (1969) zum selben Zweck Gesichtsausdrücke unvermischter Emotionen ausgewählt (Freude, Trauer, Ekel, Überra­schung) und festgestellt, daß die meisten Beurteiler die zu Gesichtsausdruck gehörende Emoti­on mit hoher Treffsicherheit identifizierten. Auch Beurteiler aus anderen Kulturkreisen nahmen die von europäischen Gesichtern kommunizierten Emotionen richtig wahr.

In unseren Alltagssituationen sind wir selten allein auf den Gesichtsausdruck angewiesen (ganze Situation, frühere Begegnungen, bisheriger Verlauf), so wird unsere alltägliche Treffer­quote höher sein, als dies die Untersuchungen von Sherman oder Landis vermuten lassen.

Genaue Wahrnehmung von Persönlichkeitszügen

(Seite 27-31)

Ziel der Wahrnehmung ist natürlich nicht nur ein flüchtiger Gesichtsausdruck , sondern auch die Wahrnehmung von überdauernden Persönlichkeitszügen von Menschen. Da sich Menschen in verschiedenen Situationen keineswegs konsistent verhalten, werden wir uns zunehmend be­wußt, daß Persönlichkeitszüge nichts von Dauer oder gar Unveränderliches sind, sondern zu einem guten Teil von der uns umgebenden Situation bestimmt werden.

Die Forschung zur Personenwahrnehmung ist ebenso umfangreich wie widersprüchlich:

Vernon (1933) z. B. stellte fest, daß manche Menschen am besten über Ihre beurteilen konnte, andere am besten Fremde und wieder andere am besten sich selbst. Einige Studien haben ei­nen Zusammenhang mit Empathiefähigkeit und Wahrnehmungsgenauigkeit. In einer Untersu­chung von Taft (1955) waren gute Beurteiler u.a. künstlerischer, akademisch erfolgreicher, emotional besser angepaßt als andere und hatten nichts mit Verhaltenswissenschaften zu tun. Dieses letzte Ergebnis scheint auf den ersten Blick erstaunlich ist aber damit zu erklären, daß psychologisch geschulte Menschen individuellen Unterschieden erhöhte Aufmerksamkeit zu­wenden und somit leicht überdifferentieren, was sich wiederum in schlechteren Genauigkeitswer­ten niederschlägt.

Nach Cronbach (1955), ist Genauigkeit bei der Beurteilung anderer keine diskrete, einheitliche Eigenschaft bestimmter Menschen, sondern eine Kombination aus etlichen, häufig in keinerlei Zusammenhang stehenden Komponenten und Faktoren.

Bei Gage (1952) lesen wir, daß Urteile die ausschließlich auf der Basis sehr allgemeiner Infor­mationen abgegeben wurden genauer waren als Urteile nach einer Phase direkten Kontaktes mit der fraglichen Person. Unser Urteil, besonders bei Fremden wird umso genauer geraten, je mehr wir uns darauf konzentrieren, die allgemeinen, typischen Merkmale der Gruppe zu identi­fizieren, zu der eine Zielperson gehört.


 

Wie die Stimmung Wahrnehmungsurteile beeinflussen kann

(Seite 31-33)

Die Befindlichkeit des Beurteilers hat merklichen Einfluß auf die Genauigkeit seines Urteils.

Forgas, Bower und Krantz (1984) ließen Versuchspersonen vor einer Videokamera ein leichtes und ein schwieriges Interview führen. Anderntags wurden die Versuchspersonen auf hypnotischem Wege in glücklich-positive oder traurig-negative Stimmung versetzt. In der entsprechend induzierten Stimmung wurde den Vps das Video vorgeführt und sie sollten das eigene soziale Verhalten und das des Interviewpartner beurteilen.

siehe Ergebnisgrafik nächste Seite.

wahrnehmungsurteile

Wie lassen sich solche Stimmungsinduzierte Verzerrungen erklären ? Wir können immer nur einen kleinen aktivierten Ausschnitt der gebotenen Information wahrnehmen (s. Allg. Psych). Eine Kategorie die mit der aktuellen Stimmung assoziert ist wird nach dem Netzwerkmodell leichter aktiviert. Gordon Bower (1983)

Fühlen wir uns glücklich so sind wir geneigt ambiges - eigenes oder fremdes Verhalten - im Sinne der bereits aktivierten "glücklichen" Konstrukte zu interpretieren.

Die Gefahr ist also groß, daß unsere Wahrnehmungsurteile je nach Stimmung an Genauigkeit einbüßen.

Stereotypisierung als Quelle von Wahrnehmungsungenauigkeit

(Seite 33-34)

Wie oben beschrieben kann die Identifizierung von Merkmalen der Gruppe zu der eine Person gehört der Wahrnehmungsgenauigkeit zuträglich sein.

Gruppenmerkmale gelten jedoch nur bedingt für jedes Mitglied einer Gruppe. Stereotypisierung kann auch die Fähigkeit beeinflussen, zwischen einzelnen Mitgliedern einer Gruppe zu unter­scheiden.

Ethnische und rassische Stereotypisierung gehen oft mit starken Vorurteilen einher. Es liegt in der Natur der Stereotypisierung, daß vorurteilsbeladene Wahrnehmung nur schwer zu korrigie­ren ist.

Einige praktische Schlußfolgerungen

(Seite 34-35)

Wieviel vertrauen können wir - angesichts der recht enttäuschenden Forschungsergebnisse - noch zu Wahrnehmungsurteilen haben, wie sie im Gerichtssaal bei Täteridentifikationen abge­geben werden.

In einem Experiment ließen Buckhout, Figueroa und Hoff (1974) einen Professor vor versammel­ter Studentenschaft beleidigen und baten einige Wochen später die Augenzeugen, den Täter zu iden­tifizieren. Die Mehrzahl, einschließlich des Opfers, wies auf den falschen !

Die bisherige Forschung zur Genauigkeit von Personenurteilen gibt Anlaß zu zwei Schlußfolge­rungen.

 

  1. Die genaue Wahrnehmung von Personen ist kein diskretes, identifizierbares Merkmal. So et­was wie den genauen Beobachter gibt es nicht. Die Urteilsgenauigkeit des Beobachters hängt von den Persönlichkeitsmerkmalen des Beobachters, der Stimmung zur Zeit der Urteilsabgabe, der Zielperson und der Situation ab.
  2. Die Forschung zur Genauigkeit von Personenwahrnehmung gibt Grund zur Vorsicht.  Wir sollten daher bei eigenen und fremden Urteilen über andere Menschen kritisch sein.